Das Kreuz auf der Kuppel

Die Laterne auf der Kuppel des Humboldt-Forums ist aufgesetzt, die Rekonstruktion der Fassaden des ehemaligen Berliner Königlichen Schlosses damit abgeschlossen. Jetzt folgt die Vollendung der Aufstellung der Exponate im musealen Teil des Inneren. Im Herbst, so heißt es, werden die ersten Räume geöffnet werden können.

Von allen Seiten betrachtet, paßt der monumentale Bau gut dahin, wo er steht. Die Entscheidung, das hochbarock Äußere nach den Plänen von Andreas Schlüter zu rekonstruieren, erweist sich als richtig. Aber auch Franco Stellas zurückhaltende, wohlproportionierte moderne Fassade, die die nicht rekonstruierbaren vorbarocken Teile auf der Ostseite ersetzt, erscheint stimmig. Auf die Rekonstruktion der erst viel später auf das von Eosander von Göthe 1710 entworfene Westportal aufgesetzten Kuppel hätte man verzichten können, wäre nicht am Beginn des 20. Jahrhunderts dem Schloß gegenüber der Berliner Dom mit einer noch größeren Kuppel errichtet worden, der andernfalls den wiedererstandenen Schloßbau erdrückt hätte. Auch dies war daher notwendig.

Allerdings: Was auf den alten Photos nicht recht zu erkennen war, waren die ausgeprägten Stilunterschiede. Friedrich August Stülers Kuppelentwurf war 1840 auf der Höhe der Zeit und biedert sich auch nicht bei der barocken Fassade an, aber es war eben eine andere Zeit als 1710. Mit dieser Inkongruenz muß man leben; eine Alternative dazu gab es sicher nicht. Die Frage allerdings, ob unbedingt jedes Detail hätte wiederhergestellt werden müssen, erscheint legitim.

Das umlaufende leuchtend preußisch-blaue Band am Kranzgesims des oberen, runden Tambourteils mit einem Spruch in goldenen Lettern fügt sich schlecht in das trotz der Monumentalität des Baukörpers elegante Ensemble ein. Dieser, aus mehreren Bibelstellen frei zusammengefügt und vom Bauherrn König Friedrich Wilhelm IV. persönlich entworfen, ist sprachlich ebenso mißglückt wie theologisch. Kaum ein moderner Betrachter wird sich darauf einen Reim machen können: „Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Es wird ihn vor Ort auch niemand lesen können, denn auf der Ostseite ist die Sicht durch das Gebäude verdeckt. Gewiß, wäre es eine Restaurierung gewesen, hätte auch dieses Detail nach den Regeln der Denkmalpflege restauriert werden müssen. Aber in der Rekonstruktion hätte man aus ästhetischen Gründen auf Blau, Gold und Spruch doch vielleicht verzichten können.

Streit gab es aber nicht hierüber, sondern über die Frage, ob wie ehedem wieder ein Kreuz die Kuppel und die akribisch nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts rekonstruierte Laterne bekrönen solle. Das Kreuz ist groß, wie man sehen konnte, als es auf dem Boden vor dem Schloß darauf wartete, zusammen mit der Laterne an seinen Platz gehievt zu werden. An diesem wirkt es nun eher klein. Kritiker haben moniert, es würde nicht zu der Idee des Humboldtforums als Ort des gleichberechtigten Austauschs der Kulturen passen. Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen; wie man hört, sollen direkt unter der Kuppel buddhistische Exponate aufgestellt werden. Eine postkoloniale Attitude könnte man damit schon assoziieren, auch wenn diese von den heutigen Bauherren sicher nicht beabsichtigt ist.

Ein anderes, wie ich finde wichtiges Argument wurde kaum gehört. Es gibt eine christliche Bautheologie, die beispielsweise in der Orthodoxie eine Ikonostasis vorsieht, zu deutsch einen Lettner, der den Ort der Sakralhandlung vom Aufenthalts- und Andachtsort der Laien trennt. Auch durften über einem christlichen Sakralraum traditionell keine anderen Räume eingerichtet werden; die einzige zulässige Ausnahme waren Krankensäle. Und so hat auch das Kreuz auf dem Dach eine bautheologische Bedeutung. Es weist weithin sichtbar auf einen darunter liegenden Sakralraum hin. Und in der Tat: Der König ließ im achteckigen Teil des Tambours der Kuppel eine neue Schloßkapelle einrichten, die 1854 geweiht wurde. Zwar bediente er sich damit einer eher katholischen Symbolik, aber das Signal war deutlich und genau so beabsichtigt. Insofern läßt sich schon fragen, ob nicht der – wohlgemerkt notwendige – Verzicht auf einen Sakralraum unterhalb der Kuppel auch den Verzicht auf den dazugehörigen Hinweis hätte nach sich ziehen müssen. Man könnte, genau umgekehrt wie die Verteidiger des Kreuzes es getan haben, argumentieren, daß seine Wiederherstellung diesem Kreuz seine eigentliche Funktion genommen und es zu einem reinen Dekorationselement entwertet hat.Nun ist ein Kreuz auf dem Dach eines Sakralraums nicht zwingend. Und man würde andererseits wohl bei der Profanisierung eines Sakralraums billigerweise nicht verlangen, daß ein auf dem Dach von jeher befindliches Kreuz beseitigt wird. Aber auf dem bekanntermaßen vollständig neuen Dach eines durch und durch profanen Gebäudes ein Kreuz anzubringen, vermag weder denkmalpflegerisch noch städtebaulich noch im Sinne einer christlich geprägten kulturellen Tradition zu überzeugen – und, wie man jetzt sehen kann, auch nicht ästhetisch. Die unter dem Kreuz befindliche Kugel als Abschluß hätte die Proportionen nicht beeinträchtigt.

Das Kreuz ist vielmehr eine romantisierende und vielleicht auch ängstliche Einzelheit in dem im ganzen sehr wohl überzeugenden Versuch, der Stadt Berlin eine Mitte zurückzugeben, die ihre über viele hundert Jahre zurückreichende kulturelle Tradition nicht außer acht läßt. Bleibt die Frage, ob man statt des Kreuzes ein andere Bekrönung hätte anbringen sollen. Die von Bildern aus Rußland bekannte Ersetzung des christlichen durch ein staatliches Symbol auf den profanisierten Kirchen – dort durch den Sowjetstern – verbot sich nun gewiß. Den Bundesadler hätte man auf der Kuppel nicht sehen wollen – und im übrigen auch nicht können, weil der Berliner Bär dann vielleicht auch noch Ansprüche hätte anmelden wollen.

Das Kreuz ist also eine Verlegenheitslösung. Es entspricht ncht der ursprünglichen Intention des Bauherrn, aber wird vielleicht letztlich per ipsum – durch sich selbst wirken. Man wird sich jedenfalls daran gewöhnen.

 

13. November 2020

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